Menschen

MODE IST KEIN MYSTERIUM

mit Charlie Porter

Menschen Wenn du dich gelegentlich beim Einkleiden wunderst, wieso du anziehst, was du anziehst, bist du nicht allein. Der Modejournalist Charlie Porter beschäftigt sich damit, wie unsere Kleidungsstücke und unser Kleidungsstil mit unserer Lebensweise in Verbindung stehen. Sich dessen bewusst zu werden, kann zu wunderbaren Unterhaltungen und Erkenntnissen über uns als Menschen führen, sodass wir mehr im Einklang damit sind, wie wir uns der Welt – und uns selbst – gegenüber präsentieren möchten.

Der zu den renommiertesten Vertretern des Modejournalismus gehörende Porter ist seit über 20 Jahren als Herrenmode-Kritiker für Magazine wie The Financial Times, The Guardian, GQ oder i-D tätig. Aufgrund seiner Veröffentlichungen von What Artists Wear (2021) und Bring No Clothes: Bloomsbury and the Philosophy of Fashion (2023) wird er als etablierter Autor und Denker auf diesem Gebiet angesehen. Wir wollten wissen, was es mit seiner Faszination für Mode und Kultur auf sich hat, und haben einen Tag gemeinsam mit ihm in seiner Wohnung verbracht, um mehr über seine Einstellung zum Schreiben über Mode und seinen eigenen Modestil zu erfahren, und warum er diesen so trägt.

„Viele Menschen haben Respekt vor Mode. Ich denke, dass liegt daran, weil man den Begriff auf zwei unterschiedliche Arten verstehen kann: Es gibt ‚Mode‘, das Substantiv, das die Modebranche bezeichnet, der sich viele Menschen nicht zugehörig fühlen, von der sie sich isoliert und abgelehnt fühlen. Und dann gibt es das Verb ‚gestalten‘. Jeder Mensch ‚gestaltet‘ seinen Körper – jeden einzelnen Tag. Jeder tut das. Ich finde, wenn man sich Mode als das Verb ‚gestalten‘ vor Augen führt, findet man Zugang dazu, weil wir entscheiden können, wie wir unseren Körper gestalten, was genau wir tun, wenn wir unseren Körper gestalten, welche Nachrichten wir aussenden, welche weiteren Nachrichten wir aussenden könnten. Diese Unsicherheit und Ängstlichkeit der Menschen im Zusammenhang mit Mode könnten überwunden werden, wenn sie sich ihrer Entscheidungsfreiheit bewusst werden, ihren eigenen Körper gestalten zu können.“

Seine Auffassung von seiner Rolle als Kritiker beruht auf dieser Dichotomie der Bedeutungen. Aufgrund seiner Faszination von Mode wollte er sich eher als Beobachter denn als Impulsgeber in Sachen Mode sehen. „Wenn ein Autor etwas empfiehlt, begibt er sich in eine voreingenommene Position. Diese ist sehr didaktisch. Bei der Musik, die ich mag, ist es mir eigentlich egal, wie andere sie finden. Ich weiß, dass ich sie mag, und nur das ist wichtig. Ich habe nicht den geringsten Ehrgeiz, andere dazu zu bringen, das zu mögen, was ich gut finde. Mir ist wichtig, dass sie die Dinge mögen, die sie mögen.“

Bereits seit Jahren basiert seine Arbeit auf der Idee der Mode als interdisziplinäre Thematik mit kultureller Bedeutung. „Das Geheimnis des Schreibens über Mode besteht darin, dass es aussieht, als sei es bloß Firlefanz, und es auch nur das sein kann. Es kann nur eine Hülle sein – aber wenn man sich dafür entscheidet, kann man tiefer gehen als die Hülle und über all die Dinge schreiben, von deren Existenz die Leute nicht einmal wissen. Über Mode zu schreiben bedeutet, über die Art und Weise zu schreiben, wie wir Menschen sind. Das bezieht sich auch darauf, wie wir Kleidung tragen, denn wir hüllen unseren Körper ein und leben unser Leben, und die Kleidung ist Zeuge eben dieses unseres Lebens.“

Bei ARKET stellen wir Kleidungsstücke mit großer Sorgfalt her. Im Gespräch mit Charlie haben wir es uns nicht entgehen lassen zu fragen, was genau er an Kleidung schätzt. „Was ich an einem Kleidungsstück wertschätze, hat mit der Spannung des Kleidungsstücks zu tun, und die Spannung eines Kleidungsstücks bedeutet viele verschiedene Dinge. Im Kleidungsstück herrscht Spannung, im Fadenlauf, in der Art und Weise, wie es zusammengenäht und wie es zusammengehalten wird. Ich mag eine Spannung, die ein physisches Gleichgewicht ausdrückt: Das kann das Gewicht eines Stoffes sein, die Auswahl eines Stoffes oder die Art und Weise, wie Stoffe zusammengefügt werden. Mit Spannung meine ich aber auch den Schnitt eines Kleidungsstücks, wie es mit anderen Teilen kombiniert wird, wie es sitzt – das kann harmonisch sein oder aber das Kleidungsstück hat etwas Außergewöhnliches, das ich interessant finde. Und diese Spannung ist beabsichtigt: Jemand möchte, dass es genau so ist.“

Wie gehst du mit dem alltäglichen Anziehen um?

„In der Hinsicht bin ich ein Glückspilz, denn ich bin selbstständig. Ich muss mich für niemanden auf eine bestimmte Art kleiden. Bei Kleidung ist für mich in erster Linie seine Funktion wichtig. Die Funktion von Kleidung kann aber auch Spaß machen. Die Funktion eines bestimmten Kleidungsstücks kann darin bestehen, dass mich seine Farbe erfreut, wenn ich es sehe. Deshalb hat es die Funktion, mich glücklich zu machen. Es geht also nicht unbedingt nur darum, inwiefern wir funktionelle Kleidung nur in Bezug auf praktische Taschen und ähnlichem beurteilen. So könnte die Funktion eines Kleidungsstücks darin bestehen, mich zu verblüffen, auch wenn es sich um ein Kleidungsstück mit radikalen Ideen handelt. Es könnte sein, dass ich etwas trage, das mich ein wenig wachrüttelt, dass ich etwas tragen möchte, um mich selbst oder andere zu provozieren. Aber auch dabei handelt es sich um Funktionen.“

„Um Mode wird so ein Mysterium gemacht, obwohl wir eigentlich alle wissen, was wir tun, wir alle wissen, wie es gemacht wird. Mode ist absolut kein Mysterium. Und wenn wir uns dies vor Augen führen, können wir unser Verhältnis zu unserer Kleidung komplett ändern. Wir würden uns in unserer Kleidung glücklicher fühlen, unsere Unsicherheit in Bezug auf Kleidung würde sich in Luft auflösen – wir würden glücklicher sein mit der Art und Weise, wie wir uns kleiden, und die Art und Weise, wie wir einkaufen, ändern. Wenn wir es gelassener angehen und eine neue Beziehung zu Kleidung aufbauen, wenn wir Kleidung besser begreifen, können wir über Gefühle der Scham hinweggehen und unser Leben mit einer gesunden Beziehung zu Kleidung leben und so eine gesunde Beziehung zu uns selbst haben.“

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