Interviews|November 2024
Pflanzen dienen seit jeher als Nahrungs- und Arzneimittel. Das Wissen darüber, wie sie zubereitet und verwendet werden müssen, wird von Generation zu Generation weitergegeben. Zumindest bis vor Kurzem, denn aktuell scheinen die Menschen die Verbindung zur Natur verloren zu haben und sich davor zu fürchten. Doch Signe Siemsen – Heilpraktikerin, Geburtsbegleiterin und Handwerkerin aus Stockholm – glaubt, dass eine Verbindung zur Natur heilende Kraft hat und uns Menschen ausmacht.
Signe Siemsen nennt sich selbst als Heilpraktikerin. Die instinktive Verbindung zur Natur, die sie spürt, begleitet sie fast schon ein Leben lang. Als Zehnjährige las sie in Büchern von Elixieren und eine Zeit lang wollte sie Hexe sein. In ihren 20ern arbeitete sie in Clubs. Sie nahm sich jedoch regelmäßig Zeit für Ausflüge in den Wald, um Energie zu tanken und die Verbindung zu ihrer Umgebung zu festigen.
Bei Pflanzenheilkunde geht es darum, die heilende und wohltuende Kraft von Pflanzen zu nutzen. Dieser Lehre liegt der Gedanke zugrunde, dass Körper, Geist und Umgebung miteinander verbunden sind. Heutzutage wird sie als etwas Ungewöhnliches betrachtet, als ein Hobby von exzentrischen Menschen. Doch in der Vergangenheit war sie ein Bedürfnis und völlig normal.
„Wir haben schon immer Pflanzen gesucht und sie als Nahrungs- und Arzneimittel verwendet. Ich unterscheide dazwischen nicht streng“, erklärt Signe. „Ich denke, dass wir mit einem natürlichen Instinkt dafür geboren werden, was für unseren Körper gut ist, nur wird uns von klein auf davon abgeraten, diesem Instinkt zu folgen. Viele Menschen fürchten sich vor der Natur, obwohl wir ein Teil davon sind. Nur haben wir gelernt, uns so zu verhalten, als wären wir davon unberührt. So wie wir heute eben leben. Heute fürchten wir uns vor dem, was früher normal war.“
Nesselblätter enthalten viele Vitamine, Kalzium, Eisen und Mineralien. Sie werden getrocknet und als Infusion verwendet, die das Immunsystem stärkt. Wildrosen „besänftigen und heilen das Herz“ und „fördern die Fruchtbarkeit, Liebe, Lust und Leidenschaft“. Außerdem spenden sie der Haut Feuchtigkeit und wirken antiseptisch. Die Blätter der Wildhimbeere werden fermentiert und getrocknet und als Basis für viele pflanzliche Tees und Infusionen genutzt.
Es wird ihnen nachgesagt, dass sie das Immunsystem stärken, den Hormonhaushalt im Gleichgewicht halten und Menstruationsbeschwerden lindern. Diese Heilmittel stehen das ganze Jahr über zur Verfügung, doch besonders im Winter benötigt sie der Körper, so Signe.
„Ich verspüre definitiv eine starke Anziehungskraft zur Natur. Auch in der Zucht steckt viel Liebe. Ein Samen wurde gepflanzt und mit großer Hingabe gezogen. Das ist etwas, das mich ebenfalls begeistert. Dennoch denke ich, dass wilde Pflanzen eine stärker heilend Wirkung haben, denn sie mussten größere Herausforderungen überwinden und wurden nicht so verhätschelt.
Sie veranstaltet Kurse, Workshops und Wildpflanzenwanderungen, bei denen sie die Teilnehmenden motiviert, ihrem Instinkt zu vertrauen und die Natur durch die Augen eines Kindes zu betrachten.
Auch für Erwachsene gilt das, so Signe. Aus diesem Grund macht sie keine konkreten Empfehlungen, sondern bevorzugt einfache Aktionen in der Natur. „Auf mich wirkt es sehr belebend, meiner Intuition zu vertrauen und mich von der kolonialen Denkweise loszulösen, dass eine andere Person besser weiß, was gut für mich ist. Ich denke, dass es für alle Menschen bestimmte Favoriten gibt. Am besten findet man sie, indem man sich zwischen den Pflanzen aufhält. Es geht nicht darum, sie zu beobachten, sondern sich einfach treiben zu lassen.“
Stattdessen sollten wir Nähe zur Pflanze suchen und sie fühlen, idealerweise über einen längeren Zeitraum hinweg. Wie sieht sie im Frühling, im Sommer und im Herbst aus? Wann verwelkt sie und wie sehen die Samen aus? Inwieweit verändern sich Geschmack und Geruch im Laufe der Zeit?
„Mensch zu sein, bedeutet, Leben zu erschaffen, aber auch Kontext. Dies geschieht zusammen mit anderen Menschen und auch die Umgebung trägt dazu bei. Ohne diese Co-Kreation wäre es nicht möglich. Es scheint also merkwürdig, dass wir uns mit Blick auf das, was wir essen, was wir tragen und wie wir leben, von diesem Prozess distanzieren. Damit will ich nicht sagen, dass alle Menschen mit ihren eigenen Händen ein Haus bauen, Kleider nähen oder Nahrung suchen müssen, doch wir könnten uns alle darauf zurückbesinnen. Es gibt keine Menschen, die alles können. Wenn jedoch jede Person etwas findet, das sie in ihrer Umgebung schaffen oder erschaffen kann, würden wir uns besser und wieder zugehörig fühlen.“
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